Blockaden beim AfD-Parteitag in Essen: Polizei muss Delegierten den Weg freiräumen (2024)

Zusammenstöße verzögern Beginn

Blockaden beim AfD-Parteitag in Essen: Polizei muss Delegierten den Weg freiräumen

Blockaden beim AfD-Parteitag in Essen: Polizei muss Delegierten den Weg freiräumen (1)

Demonstranten und Polizeibeamte auf der Rüttenscheider Straße in Essen. Schon vor dem Beginn des AfD-Bundesparteitags hat es am Samstagmorgen Zusammenstöße zwischen Protestierenden und der Polizei gegeben.

Quelle: ---/dpa

Die AfD veranstaltet ihren Parteitag in der Grugahalle in Essen. Schon vor Beginn kam es zu lautstarken Protesten– dabei wurden auch zwei Polizisten schwer verletzt. Auf einer Großdemo versammelten sich am Nachmittag Zehntausende Demonstrierende.

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Felix Huesmann, Jan Sternberg und Matthias Schwarzer

Essen. Samstagmorgen, halb sieben in einer sonst ruhigen Wohnstraße im Essener Süden: Eine verschlafen aussehende Frau zieht die Rollläden ihrer Erdgeschosswohnung hoch, blinzelt in Richtung Straße. Auf ihrem ausgebeulten T-Shirt steht „Love“. Auf dem schwarzen Kapuzenpulli des jungen Mannes vor ihrer Tür steht „Antifaschistische Aktion“. Seine schwarze Corona-Maske und seine eng anliegenden Arbeitshandschuhe sind ein Anzeichen dafür, dass er vielleicht mehr tun würde, als nur im Weg zu stehen, um den AfD-Parteitag in der Grugahalle zu verhindern.

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Jetzt steht er mit gut hundert weiteren meist jungen Menschen auf der Kreuzung zweier Nebenstraßen und ruft Slogans wie „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“ und „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazi-Pest!“ Flaggen der Gewerkschaft Verdi, von Attac und von der radikalen Interventionistischen Linken sind zu sehen.

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Schon vor dem offiziellen Beginn des AfD-Bundesparteitags in Essen demonstrierten viele Gegner der Partei in der Stadt.

Quelle: Jan Sternberg/RND

Vier Blocks weiter südlich haben die Gegendemonstrierenden die Autobahnausfahrt und die zentrale Zufahrtsstraße zur Grugahalle blockiert. Die Polizei blockiert wiederum die Blockierer und versucht mit Durchsagen, Ruhe reinzubringen. Hinter der Autobahn sind mehrere Reisebusse zu sehen, darin sollen AfD-Delegierte sitzen.

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Die Demonstrierenden waren schon um 3 Uhr nachts aus einem Protestcamp einige Kilometer entfernt aufgebrochen und in die Nähe der Grugahalle gezogen, um die Anreise der AfD-Delegierten zu blockieren.

Einer der Frühaufsteher ist der Klimaaktivist Mika Rosen. „Wir sind eine demokratische Masse an Menschen, die eine vielfältige Gesellschaft darstellt und sich der AfD widersetzt“, sagt er. „Unser Ziel ist, AfD-Politikerinnen und -Politiker daran zu hindern, in die Grugahalle zu gelangen, ihre Versammlung abzuhalten, faschistische Parolen zu skandieren.“

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Klimaaktivist und AfD-Blockierer Mika Rosen.

Quelle: Felix Huesmann/RND

Einen Parteitag zu blockieren, um die Demokratie zu schützen, darin sieht Rosen keinen Widerspruch: „Ziviler Ungehorsam ist ein legitimes, demokratisches Protestmittel“, findet er. „Wir stehen für demokratische Werte ein und nutzen unser Recht auf Versammlungsfreiheit. Auch unser Protest ist durch das Grundgesetz geschützt.“

Erste Konfrontation schon am frühen Morgen

An dieser Stelle im Essener Stadtteil Rüttenscheid sei es schon um 5.45 Uhr zu einem ersten Zusammenstoß von Demonstranten mit der Polizei gekommen, berichtet eine Polizeisprecherin später am Morgen. Eine größere Personengruppe habe versucht, eine Sperrstelle zu überwinden. Dies sei unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken von Kräften einer Hundertschaft verhindert worden. Ob es aufseiten der Demonstranten Verletzte gab, wurde zunächst nicht bekannt. Zuvor sei die Nacht zum Freitag insgesamt ruhig gewesen, so die Sprecherin weiter.

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In der Essener Grugahalle veranstaltet die AfD am Samstag und Sonntag ihren Bundes­parteitag. Zu Gegendemonstrationen und -veranstaltungen werden bis zu 100.000 Menschen erwartet. Laut Veranstaltern sollen am Samstag etwa 50.000 Menschen durch die Stadt in Richtung Grugahalle gezogen sein, laut Innenministerium waren es etwa 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Ab 14 Uhr fand direkt vor dem Tagungsort der Partei zudem eine Großkundgebung statt – die Organisatoren sprechen von rund 25.000 Teilnehmenden. Die Polizei hat mehrere Tausend Beamte aus zahlreichen Ländern und der Bundespolizei im Einsatz.

Polizei muss Delegierten auch mit Schlagstöcken den Weg frei machen

Während die AfD-Prominenz auf Weisung der Personenschützer des Bundeskriminalamts mit Kleinbussen und Motorradbegleitung an den Blockaden vorbei zum Tagungsort gefahren werden, haben andere der rund 600 Delegierten weniger Glück und geraten mit Protestierenden aneinander.

Kurz nach 8 Uhr in einer Seitenstraße etwas weniger als einen Kilometer von der Grugahalle entfernt: Vier Delegierte des AfD-Parteitags haben sich auf der Anreise zur Grugahalle verfahren. „Wir haben mehrfach versucht, durchzukommen, aber die Polizei hat uns immer wieder weggeschickt“ sagt eine Frau. Jetzt sind sie eingekesselt: Beide Enden der kleinen Straße sind von Gegendemonstrantinnen und -demonstranten des „Widersetzen“ blockiert, dazwischen die Polizei.

Die Protestierenden beschimpfen die AfD-Mitglieder über die Polizeisperre hinweg als „Nazischweine“. Aus einem Hotel kommen noch weitere AfD-Mitglieder dazu. Fast eine Stunde später hat die Polizei dann genug Kräfte vor Ort, um der Lage Herr zu werden. Zwei niedersächsische Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten nehmen die AfD-Delegierten in ihre Mitte und schieben und schlagen ihnen den Weg durch die Widerstand leistende Menschenmenge frei.

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Ähnliche Szenen ereignen sich am Samstagvormittag mehrfach – vor allem vor den vielen Sperrstellen rund um die Grugahalle. Immer wieder treffen dort kleine AfD-Gruppen ein und werden von lauten Gegendemonstranten aufgehalten. Die Polizisten umringen die AfD-Mitglieder dann und räumen ihnen den Weg frei. An manchen Stellen leisten die Blockierer dabei auch gewaltsamen Widerstand. Auf einer Zufahrtsstraße direkt vor der Grugahalle geht die Polizei aber auch gegen eine friedliche Sitzblockade sehr ruppig vor.

Am Nachmittag teilt die Polizei mit, dass zwei Polizeibeamte während des Geleitschutzes eines AfD-Politikers schwer verletzt worden seien. Zwei bisher unbekannte Täter hätten den Beamten der Bereitschaftspolizei gegen den Kopf getreten – noch am Boden liegend seien sie mit Tritten traktiert worden. Sie seien ins Krankenhaus eingeliefert worden. Sieben weitere Beamte seien zudem leicht verletzt worden. Die Polizei werte nun Videoaufnahmen aus, um die Täter zu identifizieren.

Die Eiskönigin und ihr Libero: In der AfD-Spitze kriselt es

Beim anstehenden Parteitag stehen die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla zur Wiederwahl – zwei, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Skandale waren zuletzt zunehmend zur Belastung für beide geworden. Da kriselt es umso mehr, seitdem Forderungen lauter werden, die Partei statt im Duo mit einer Spitze zu führen.

Der Parteitag beginnt schließlich mit einer halben Stunde Verspätung. Zum Beginn sind laut Angaben eines Parteisprechers 534 von 600 Delegierten in der Halle. Kurz nach 11 Uhr zählt die Partei dann 546 Delegierte.

Die Blockierer können die Anreise der AfD-Delegierten zwar stören und behindern, ihr Ziel, den Parteitag zu verhindern, erreichen sie aber nicht. „Wir bleiben hier und wir lassen uns nicht einschüchtern“, ruft Parteichefin Alice Weidel in ihrer Eröffnungsrede unter dem Applaus der Delegierten.

Einige Stunden später, gegen 14 Uhr, versammeln sich dann wieder Zehntausende am Veranstaltungsort. Ein breites Bündnis hat eine Großdemonstration angemeldet – neben den Akteuren verschiedener Verbände und der Kirchen spricht hier auch Essens Oberbürger­meister Thomas Kufen. „Wenn Extremisten in unserem Land ihr undemokratisches und menschenfeindliches Weltbild verbreiten, müssen wir, als Demokratinnen und Demokraten, unsere Stimme dagegen erheben“, so der CDU-Politiker auf der Bühne. „Wir wollen heute gemeinsam für unsere Demokratie, für Freiheit, Vielfalt und Toleranz einstehen und uns klar gegen Ausgrenzung und Extremismus stellen.“

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Schon vor dem offiziellen Beginn des AfD-Bundesparteitags in Essen demonstrierten viele Gegner der Partei in der Stadt.

Quelle: Jan Sternberg/RND

Demo am Freitag startete mit „Bass gegen Hass“-Rave

Den Auftakt der größeren Protestaktionen hatte am Freitagabend eine Rave-Demo mit mehreren tausend Menschen gemacht. Unter dem Motto „Bass gegen Hass“ legten szenebekannte DJs auf und fuhren mit Musiktrucks in einem Demozug vom Hauptbahnhof zur Grugahalle. Nach Angaben des Veranstalters begleiteten zwischen 4000 und 5000 Menschen den Zug. Die Polizei sprach gegen 22 Uhr von einem friedlichen Verlauf. Die Teilnehmerzahl schätzte eine Sprecherin auf rund 5000.

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Eine Demonstrantin in Essen hält ein Schild gegen die AfD hoch.

Quelle: Jan Sternberg/RND

Die Sicherheitsvorkehrungen hatten den beliebten Einkaufs- und Ausgehstadtteil Rüttenscheid schon am Freitag teilweise lahmgelegt. Bewohner kamen nur noch zu Fuß und nach einer Ausweiskontrolle in ihr Zuhause. Autofahrer mussten die Grugahalle weiträumig umfahren. Der Betrieb von Bussen und Straßenbahnen wurde auf mehreren Linien eingestellt. Über der Stadt kreiste ein Polizeihubschrauber. Auch der beliebte Grugapark mit dem großen Freibad war aus Sicherheitsgründen nicht mehr geöffnet.

„Unfreiwillig geschlossen“ war auf einem Schild in einem Geschenkeladen an der eigentlich sehr belebten Rüttenscheider Straße zu lesen. „Wenn die Kunden sowieso nicht zu uns kommen, kann ich den Laden auch gleich zu lassen“, sagte eine sichtlich genervte Einzelhändlerin. An einigen Ladenlokalen waren aus Angst vor Ausschreitungen Bretter vor die Schaufenster geschraubt.

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Die Bäckereien auf der „Rü“, wie die Straße in Essen heißt, hatten am Samstag aber geöffnet und versorgten Polizei, Demonstrierende und Delegierte gleichermaßen.

Bis zu 4000 Aktivisten zelten einige Kilometer außerhalb der Stadt

Einige Kilometer außerhalb der Stadt auf einer Freifläche an der Ruhr füllte sich am Freitag ein Zeltlager für Demonstranten. Das „Camp gegen Rassismus“ war ursprünglich an einer zentraleren Stelle geplant, wurde dort aber wegen Sicherheitsbedenken von der Polizei untersagt – sehr zum Ärger der Veranstalter. Nun müssen bis zu 4000 Aktivisten ihre Zelte auf einer Wiese an der Stadtgrenze zu Bochum aufschlagen.

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Die Aktionen am Freitag waren der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Kundgebungen, Demonstrationen und Versammlungen, die den zweitägigen Bundesparteitag der AfD begleiten. In der linken Szene habe es im Vorfeld Aktionstrainings gegeben, in denen zum Beispiel Blockadeaktionen geübt worden seien, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) dem RND. „Und genau da hört nicht nur das Verständnis auf, sondern da fängt auch die Strafbarkeit des Gegenprotestes an.“

Reul warb um Verständnis für den Polizeieinsatz. „Die Chancengleichheit aller politischen Parteien ist ein wesentliches Element unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“ Deshalb werde die Polizei einen ungestörten Verlauf des Parteitags sicherstellen und diesen Schutz bei Bedarf „sehr robust gewährleisten“.

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Wüst: „Kein Platz für Hetze, Hass und Rechtsextremismus“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst dankte am Samstag den zehntausenden Protestierenden und der Polizei während für ihren Einsatz. „Die vielen tausenden Demonstranten in Essen zeigen: In Nordrhein-Westfalen ist kein Platz für Hetze, Hass und Rechtsextremismus“, so der Regierungschef gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist ein starkes Zeichen der Zivilgesellschaft für unsere Demokratie, dass so viele Menschen gegen Antidemokraten auf die Straße gehen.“

Klar sei aber auch: Gewalt werde nicht akzeptiert. „Jeder kann so hart in der Sache diskutieren, wie er möchte - aber Gewalt darf nie das Mittel der Wahl sein“, stellte der CDU-Politiker klar. Die friedlich demonstrieren Menschen setzten das Zeichen „Herz statt Hetze, Respekt statt Rassismus“.

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Auf dem Parteitag wählte die AfD unter anderem ihren Vorstand neu. Alice Weidel und Tino Chrupalla setzten sich auf der Veranstaltung am Samstagvormittag gegen ihre Kritiker durch. Für Weidel stimmten am Samstag 79,77 Prozent der Delegierten, für Chrupalla 82,72 Prozent.

mit dpa

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